Doppelleben – Von Avataren, PFPs und (geheimen) Zweitexistenzen (German)

Ich habe ein Problem. Ich führe ein Doppelleben und habe auch noch Spaß daran gefunden. Am Anfang ist es mir verquer und fast schon anrüchig vorgekommen, als ich den Entschluss gefasst hatte, mir eine zweite Identität zuzulegen. Aber bei all den Überlegungen erschien es mir nur sinnvoll, meinen neuen Interessensbereich (vorerst) nicht mit meinem „Klarnamen“ zu vermischen.

Diese neue Persönlichkeit möchte ich dann offenlegen, wenn es mir sinnvoll erscheint und ich einen Vorteil darin sehe bzw. mich dazu bereit fühle; möglicherweise nie oder nur einem auserwählten Personenkreis. Für mich auf jeden Fall vernünftiger, als vorschnell von meinen „Freunden“, „Followern“ und meinem beruflichen „Netzwerk“ zur „Internetpersona non grata“ erklärt zu werden. Denn aktuell unterteilt sich das Spektrum meiner virtuellen Existenz in diese Bereiche. Facebook für alle Freunde und Bekannten (fast schon ein Relikt vergangener Tage), dann mein Insta-Account, eher als Selbstbeweis meiner Hippness, und natürlich mein professionelles Netzwerk via LinkedIn mit smartem Businessfoto als Visitenkarte; schließlich zählt der erste Eindruck. Persönlicher wird’s dann in den diversen What’s App Chatgruppen. Alles, ganz selbstverständlich, immer mit Vor- und Zunamen und dem passenden Porträt.

Was ich nämlich nicht wollte, dass Socialmedia-Plattformen mit all ihren Echokammern durch den Sanctus des Algorithmus jene Geschworenen bestimmen, die letzten Endes darüber urteilen, ob sich meine neues Interessensfeld mit meinem „gesellschaftlichen“ Profil vereinbaren lässt. „Redet der wirklich von Crypto?! Pfui! Und Blockchain! Noch so ein Gescheiter! Spekulant!“

So wie bei einem Rollenspiel, zuerst einmal ordentlich hochleveln! Sattelfest werden! Lernen, lernen, lernen! Aber auch tun, tun, tun! Aber im geschützten Bereich quasi, ohne (Vor)urteile! Und ist es wirklich so abwegig in Teilbereichen unseres Lebens in die Psyeudonymität abzutauchen?! Erst im zweiten Gedankengang wird einem diese Schutzfunktion bewusst. Denn auch im wahren Leben würde man vielleicht im Job nicht unbedingt zugeben, dass man im Privaten Vorsitzender des „Bachelor-Fanclubs“ ist (womit ich persönlich kein Problem hätte, es zu tun). Aber abseits dieses banalen Beispiels gibt es weit sensiblere Bereiche, wo es durchaus Sinn macht, oder wo es einfach zu unserem Vorteil wäre. Vielleicht würde uns allen ein bisschen Pseudonymität im Netz nicht schaden. Natürlich nicht in diesem Sinne, dass wir die bereits bestehenden Echokammern und hasserfüllten-Algorithmen weiter füttern. Ich finde in jedem „Channel“ muss selbstbewusst moderiert und notfalls auch mit entsprechender Härte sanktioniert werden (hier halte ich es eher weniger mit Herrn Musk).

Aber was hat all der Kramm, mit dem du dir wieder den Mund fusselig redest, mit Crypto zu tun? Das ist ganz einfach mit der aktuell gängigsten Form an NFTs erklärt – PFPs bzw. Profile Pictures. Dabei datieren Profilbilder bereits vor dem Internet, doch wird ihre Nutzung als wichtiger Bestandteil der virtuellen visuellen Identität weit interessanter. Die aktuelle Erfahrungskurve lässt sich vor allem in den Bereichen des Gamings und der Social Media Plattformen auslesen. So ist das Profilbild bzw. der Avatar der erste „Pointer“, der Aufschluss auf Identität, der gemeinschaftliche Zugehörigkeit und Branding (Wiedererkennungswert) liefert, und somit einen Einblick in den User selbst und dessen „Online Community“ gewährt. Hierzu gibt es eine interessante Studie, welche die Beziehung zwischen Avatar bzw. PFPs und dem User als eher bilateral einstuft. So zeigten Probanden bei Tests einen Anstieg der physischen Stärke, wenn sie sich mit Avataren mit „stärkeren“ Charakteristiken assoziierten.¹

PFPs dominieren zum aktuellen Zeitpunkt den NFT-Bereich gemessen an der Marktkapitalisierung. Dabei ist ihre Nutzung als Profilbild eher auf natürliche Weise entstanden, da ihre Urväter, die „CryptoPunks“, ursprünglich als generative, digitale Kunst bzw. Collectibles „gemintet“ wurden. Erst durch die Community wurden die Punks zur Visitenkarte aller „Cryptonatives“ und mittlerweile aller „OGs“ (Original Gangsters) im NFT-Space – wer einen Punk als Profilbild nutzt, ist auf jeden Fall cryptophil und seit Anfang an dabei (oder es ist ihm/ihr sehr viel „wert“, dieser Coummunity anzugehören). Wobei bei vielen NFT-Kollektionen, häufig auch in der jeweiligen Community selbst, nicht nur „Nutzung“ (in Zusammenhang mit Intellectual Property Rights – IPRs),sondern auch „Nutzen“ (Utility) intensiv diskutiert werden. Vor allem in der Hypephase Mitte 2021 wurden viele PFP-Holder mit „perks“ in Form von Airdrops, physischen Gütern oder Special Events überschüttet. Dabei wurden auch zunehmend Stimmen laut, dass die „utility“ die Community selbst sein sollte, um diesen „social bond“ wieder mehr in den Fokus zu rücken.

In diesem Zusammenhang klingt immer noch die Überschrift eines Artikels von SuperRare (einem NFT-Marktplatz) in meinem Kopf nach – „Utility isn’t what you get from an NFT project- it’s what you give“. Das entspricht auch der Erfahrung, die ich in kurzer Zeit gesammelt habe. Das Web3 lädt viel mehr zum Mitwirken ein, und so ist man schnell motiviert, vom „Collector“ zum „Builder“ zu werden. Jene „Communities“, die ich kennenlernen durfte, sind sehr offen und „open minded“ – Hautfarbe? Grün, denn mein PFP hat das rare Attribut „Alien“. Oder Alter?, naja, der Zombie-Avatar wird vermutlich ein älterer Jahrgang sein. Aber auch zwischen den Kollektionen steht oft „Colloboration“ vor „Competition“. Im Besonderen zeigt sich dies in den aktuellen Krisen, die mannigfaltig unsere Gesellschaft auf die Probe stellen. So wird in der Community zeitnahe nach der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien eine Spendenaktion organisiert, welche die gesammelten Ether direkt an die Wallet vor Ort transferiert. Dafür bekommt man als Sender einen „Soulbound Token“² als „Proof of Donation“, und viele Künstler verschenken als Dank einzelne Kunstwerke via Airdrop an deren Holder.

Vermutlich fördert ein dezentrales Netzwerk eher den Gedanken des Zusammenhalts als ein zentrales „The Winner takes it all“-System. Und vielleicht wird uns hier auch zunehmend bewusster, dass in der „Theorie“ doch genug für alle da wäre, wenn nur die Verteilung passt. Darin gilt es zu arbeiten und jetzt das Fundament zu bauen. WAGMI! – We’re all gonna make it! einer der Leitsprüche der community sollte auf jeden Fall diese tiefere Bedeutung tragen, und nicht nur als ein Synonym für gestiegene „Floor“-Preise dienen.

Ebenso drängt sich der Gedanke auf, dass der aktuelle Status des WorldWideWebs noch nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Während wir in der analogen Welt viele unserer Freiheitsrechte, die unserer Identität Raum geben, erkämpfen mussten bzw. müssen, geben wir sie im virtuellen Raum nur zu leichtfertig ab. So ist unsere virtuelle Identität aktuell eine lose Ansammlung an Datenbankeinträgen privater Tech Unternehmen, deren Kontrolle sich uns gänzlich entzieht (bzw. uns trotz des theoretischen Schutzschilds der DSGVO zu undurchsichtig erscheint). Und eben hier setzten die als „JPEGs“ banalisierten NFTs in Form von Profil Pictures an, quasi als erstes Aushängeschild der virtuellen Emanzipation. Denn so absurd manche dieser Bildkollektionen auch daherkommen mögen, dank Blockchain sind sie Eigentum des Users (meist auch noch mit entsprechenden Verwertungsrechten ausgestattet); und die Communities, die sich innerhalb und um die einzelnen Kollektionen scharren, oft auch Ausdruck einer neuen Souveränität im Netz. Hier werden in Discord-Kanälen und bei Twitter-Spaces Vorhaben diskutiert, mittels Wallets Stimmen abgegeben bzw. Vorsitzende gewählt und Rollen sowie Aufgaben verteilt. Demokratie im Internet?! Unglaublich, aber wahr.

Eventuell schaffen wir doch noch den U-Turn und verabschieden uns von den Oligopolen, deren Algorithmen uns eventuell mehr oder weniger gezielt in eine „Long Night“ à la John Robb manövrieren; schaffen doch noch die Abbildung unserer pluralistischen Gesellschaft in den virtuellen Netzwerken. Am Horizont sehe ich mit zugekniffenen Augen bereits (möglicherweise in Form eines Hologramms) den „Network State“ gemäß Balaji Srinivasan.

Was soll ich also jetzt mit diesem neuen, alten Wissen anstellen?? Aktuell scheint es mir noch sinnvoll, den Mantel der Pseudonymität zu tragen, vielleicht auch um eher der „Sache“ bzw. der „Message“ den Vorzug zu geben und weniger der Person. Aber ich schätze, es wird bald der Zeitpunkt kommen, an dem es Sinn macht, meine Persönlichkeit ins Rennen zu schmeißen; weil vermutlich doch mehr dranhängt als „nur“ der eigen „Werdegang“. Bis dahin bleib ich euch als HanZzzel erhalten, und freu mich, meine Gedanke mit euch teilen zu dürfen. 🙂

 

¹ Siehe hierzu auch die Folien des Universitätskurs zu „Non-Fungible Tokens (NFTs) and the Metaverse – Session 3: PFPs“ der University of Nicosia (Stand Februar 2023) sowie der darin zitierten Studie „Aliens versus humans: Do avatars make a difference in how we play the game?“
² Gemäß Definition digitale Identitäts-Tokens, die die Eigenschaften, Merkmale und Errungenschaften einer Person oder Entität darstellen.

Facebook
Twitter
LinkedIn