Bei der Macht des Ledgers (Deutsch)

Als ich den Ledger aus seiner äußerst geschmeidigen Verpackung nehme, sticht mir sofort die in Silber  gehaltene Karte mit der Aufschrift “TRUST YOURSELF” ins Auge. Und wie so oft bei Dingen, die im  ersten Moment banal anmuten, jedoch in ihrem Kern ein halbes Philosophiestudium beinhalten, catcht  mich der Spruch mit etwas Zeitverzögerung. “Vertraue dir selbst”, das ist der Slogan, der mich seit meinem unumkehrbaren Abstecher in die Kryptowelt jetzt bereits seit einem Jahr begleitet; sei es unterbewusst aufgrund der vielen kleinen Schritte, die ich in diesem Zeitraum gesetzt habe, oder aufgrund der Entscheidungen, die mich immer bewusster diesen Weg verfolgen ließen. Einer der zahlreichen “Lehrer”, dem ich hierbei begegnete, startete einen seiner Vorträge mit den Satz: “Handeln in der Kryptoökonomie verlangt nach Eigenverantwortung”; und das beinhaltet bereits mehr, als sich vermuten lässt.

“Not your keys, not your coins”, fast schon wie ein Mantra wird dieser Satz von der Community gebetsmühlenartig durch diverse Foren gewälzt. Im Endeffekt bringt es zum Ausdruck, dass einem durch ein dezentrales Netzwerk ein Grad an, möglicherweise längst vergessener, persönlicher Freiheit geschenkt wird, den man nicht wieder leichtfertig in die Hände zentralisierter Entitäten legen sollte. Custodial wallets, wie sie zum Beispiel von Kryptobörsen als Zentralverwahrer angeboten werden, können all jene potentiellen Gefahren bergen, welche “Konsumenten” im Vertrauen auf einen Intermediär oft schon schmerzhaft erfahren mussten – Single Point of Failure, Zensur, Enteignung. Der kolossale Crash der Kryptobörse FTX hat der Welt wieder schmerzhaft vor Augen geführt, dass “Ponzi Schemes”[1] a la Bernie Madoff noch immer en vogue sind; inklusive ihrer treuhändisch tätigen Gallionsfiguren mit treuherzigem Hundeblick. Es gilt deshalb als unumstößliche Tugend in der Kryptowelt, dass man Herr/Frau über seine Wallet und somit sein eigenes Schicksal bleibt. 

Die ersten Schritte im Web 3.0[2] führten mich schnell zu Desktop und Mobil Wallets à la Meta Mask, deren niederschwelliges Angebot und Anwendungskomfort mir halfen, meine anfänglich Scheu und Verlegenheit zu überwinden. Das Problem bei dieser Art von Wallets ist nur, dass das Gerät, mit welchem die alles entscheidende Seedphrase (quasi der Pincode zu meinem Kryptovermögen) generiert wird bzw. meine Transaktionen signiert werden, mein Laptop ist. Dieser ist 99% seiner Betriebszeit online und somit je nach Sicherheitsvorkehrungen potenzielles Opfer aller möglichen Cyber-Schandtaten – oder um es in den Worten von Herrn Andreas Antonopoulos während einer seiner Vorträge zu fassen: “ My laptop is like the seat of a public toilet”[3]

Nach einer gewissen Zeit, wenn man seine Wallet(s) nach den ersten Begeisterungsstürmen und leisen Verzweiflung und im späteren Verlauf durch zunehmend professionelleres Agieren mit diversen Schätzen in Form von NFTs und / oder diversen Coins “hochgelevelt” hat, wird das Gefühl des “ungeschützten” Verweilens im Cyberspace zunehmend unangenehmer. Zu oft hört man die Geschichten von leergeräumten Wallets; und dann noch die verzweifelten User-Kommentare, dass einem einer der wertvollen Apes des BAYC aus dem Wallet gezogen wurde (zumeist gefolgt von dem bissigen Kommentar, dass das zwar schade sei, aber der User doch bitte nicht mehr jenes besagte Bild als Profile Picture verwenden solle, da er es ja jetzt nicht mehr besitzen würde). Es sei fairerweise erwähnt, dass die Schuld oft, aber nicht immer beim User liegt.

Der Kryptospace ist trotz der anrollenden Regulierungsflut noch in einzelnen Bereichen der Wilde Westen, und im Wilden Westen kommt man ungerne mit einem Messer zu einer Schießerei. Wähle also deine Waffe weise, und die einhellige Meinung spricht sich hier für den Griff zum Hardware Wallet aus – die bekanntesten Geräte tragen die Namen Trezor, Ledger und BitBox.[4] Der entscheidende Vorteil von Hardware Wallets stellt die Offline-Speicherung der Private Keys dar, um diese von für Hackerangriffen anfälligen Laptops und Smartphones zu separieren – zusätzlich geschützt durch einen frei gewählten Pincode. Umso wichtiger ist es deshalb, diese Geräte von offiziellen Händlern zu beziehen; sonst endet man mit einem Ledger günstig erworben von Vitalik3000 auf einem windigen Ebayshop. Nur das eine Kopie der Seedphrase auch sicherheitshalber bei Vitalik bleibt. Wie das Spiel ausgeht, wissen wir bereits – 5 Ether und 15 NFT zu 0 für V.

Als ich also nach dem eingangs erwähnten Unboxings meines nigelnagelneuen, original eingeschweißten und hochoffiziell vom Ledgershop georderten „Ledgers-Nano-S-Plus“ in die Hände nehme und an meinen Laptop anstecke, kann ich das Vibrieren spüren! Nicht weil das Gerät irgendwie vibrieren würde, sondern ich selbst in Schwingung gerate – so fühlt sich also „Trust Yourself“ im Web 3.0 an. Einen Vorgeschmack hatte ich ja schon bekommen, als ich die ersten Cryptobeträge zwischen meinem Wallets bewegte; in dem Wissen, dass lediglich meine Copy&Paste- bzw. QR-Code-Scan Fähigkeiten und die dreimalige Kontrolle der empfangenden Wallet-Addresse meine hart gehodelten Coins vor dem Blockchain-Nirvana bewahrten. Doch jetzt ging es ums Eingemachte; lieb und teuer gewonnene NFTs auf meine sichere Ledgeradresse zu verschieben. Blankes Entsetzen gepaart mit berauschender Euphorie – wie ein Bungee Sprung; schon mit Seil, ja klar. Aber wird es auch nicht reißen; oder ist es etwa zu lange?!

Es hat geklappt. Mit jeder Transaktion sammelt man Vertrauen – Selbstvertrauen. Und es fühlt sich auch besser an, seine hart erworbenen Schätze in sicherer Hand zu wissen. Bei der Macht des Ledgers, ich habe die… aber halt! Nicht überheblich werden. Ledger schützt vor Strafe nicht. Den auch wenn die Transaktionsbestätigungen offline passieren, kann man auch hier die „falschen“ (kompromittierten) Transaktionen signieren.

Eine weitere Etappe ist geschafft. Man reift an seinen Aufgaben. Es war ein kleiner Schritt den Ledger zu bestellen und an den Laptop anzuschließen, und doch hatte er große Effekte. „Not your keys, not your coin“, ein Mantra. „Trust Yourself” ein weiteres.

Im Web 3.0 kommen wir schnell an den Punkt, an dem wir die Verantwortung für unser Tun nicht mal ebenso an einen Dritten abgeben können bzw. sollten. Wenn die trust machine[5] ihr Werk gewissenhaft vollrichtet, so ist es auch an uns, wieder Eigenverantwortung zu übernehmen. Wenn wir die Gestaltung unserer Wirtschaftsbeziehungen in Form von Transaktionen wieder selbst in die Hand nehmen, so ist es der prägnanteste Ausdruck unserer economic literacy – unserer wirtschaftlichen Mündigkeit.

„Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist.“ (Christian Morgenstern)



[1] Unter “Ponzi Scheme” wird Investmentbetrug verstanden, welcher ähnlich einem Schneeballsystem, bei dem Kundengelder neuer Kunden veruntreut werden, um die scheinbaren “Profite” der Finanzanlage bestehender Kunden zu finanzieren. Bei FTX wurden Kundengelder veruntreut, um hochspekulative Investments durch ein Zweitunternehmen des CEOs Sam Bankman-Fried zu finanzieren.
[2] In Wikipedia wird das Web 3.0 als eine weitere Iteration des Internets beschrieben, in welcher die dezentrale Blockchain-Technologie und die Token-basierte Ökonomie die entscheidende Rolle spielen. [3] Die University of Nicosia hat einen eigenen Lehrstuhl für Kryptoökonomie und bietet neben dem regulären Studienprogramm gratis MOOCs an, welche einen großartigen Einstieg (und Fortschritt) in die Materie bieten.
[4] Eine weitere Möglichkeit des Cold Storage – also das offline Verwahrens des Private Key, damit dieser nicht kompromittiert werden kann – stellen Paper oder Card Wallets dar. In Österreich bietet z.B. die Staatsdruckerei Bitcoin und Ethereum Card Wallets feil, die eben mit der entsprechenden Güte einer Staatsdruckerei erstellt werden. Für alle Vor- und Nachteile dieser Form der Cryptoverwahrung ist wie immer DYOR (Do Your Own Research) erbeten.
[5] “The Economist” bezeichnete in einem seiner Artikel die Blockchaintechnologie als “The Trust Machine”, da sie Menschen, die kein grundlegendes Vertrauen untereinander hegen, zur Zusammenarbeit bewegt, ohne dass hierzu eine neutrale, zentrale Autorität notwendig ist.

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